Recht schreiben. Der Podcast über gutes Legal Design.

Dr. Jens Jeep

RS006 Legasthenie - Recht schreiben, wenn man nicht rechtschreiben kann.

Mit Lese- und Schreibstörung im juristischen Staatsexamen.

17.09.2020 39 min

Zusammenfassung & Show Notes

Wer mit der Behinderung "Legasthenie" leben muss, der braucht gehörigen Mut, ausgerechnet Jura zu studieren. Ein Fach, in dem es vor allem darum geht, zu lesen und zu schreiben. Aber sicherlich kann man vor dem Hintergrund des Gleichheitsgrundsatzes im Grundgesetz, der ja ausdrücklich für Behinderungen sogar eine Ausnahme zugunsten der Betroffenen macht, davon ausgehen, dass die mit der Lese- und Schreibschwäche verbundenen Nachteile in der Prüfung ausgeglichen werden. Doch kann man das wirklich?

In dieser Folge spricht Notar Dr. Jens Jeep mit der Juristin und Legasthenikerin Zippora Lojenburg sowie ihrem Rechtsanwalt Marc Ohrenndorf über ihren eher steinigen Weg durch die Erste Juristische Prüfung, der am wenigsten mit der ohnehin anstrengenden Lernphase zu tun hat. 

Wie schreibt man in der Klausur gutes Recht, wenn man doch ausgerechnet mit dem Rechtschreiben ein Problem hat, welches sich auch nicht durch Fleiß und Willen beseitigen lässt? Welche Wege eines Nachteilsausgleich sieht die anzuwendende Prüfungsordnung vor? Wissen die Korrektoren von der Behinderung? Darf man Texte mit dem Computer schreiben oder diktieren? Gibt es möglicherweise Unterschiede zwischen den Bundesländern, obwohl das Grundgesetz doch für alle gleich gilt? 

Und wie wird das Recht in der Praxis von den Prüfungsämter so angewendet, dass die Betroffenen sich auch wirklich auf das konzentrieren können, worum es wirklich geht: Gutes Recht in der Prüfung schreiben. Denn so wichtig die Form auch ist, noch wichtiger sollte doch der Inhalt sein. 


Weitere Infos dazu und ein konkreter Vorschlag für besseres Recht finden sich hier: www.de-lege-ferenda.de.

Unser Gast Marc Ohrendorf ist nicht nur Rechtsanwalt, sondern auch Wissenschaftlicher Mitarbeiter der Uni Köln und Gastgeber des hervorragenden Podcasts Irgendwas mit Recht, den es sich zu abonnieren sehr lohnt.

Das Hamburgische Juristenausbildungsgesetz (HambJAG), um das es im konkreten Fall des Podcasts vor allem geht, findet sich hier zum Download. Dort ist die entscheidende Vorschrift der § 15:

§ 15 Aufsichtsarbeiten
(1) Der schriftliche Teil besteht aus sechs Aufsichtsarbeiten, in denen der Prüfling zeigen soll, dass er in der Lage ist, eine Aufgabe zu lösen und ein Ergebnis sachgerecht zu begründen. Dem Prüfling stehen für jede Aufsichtsarbeit, die an je einem Tag zu bearbeiten ist, fünf Stunden zur Verfügung. Das Prüfungsamt kann Prüflingen mit Behinderungen eine angemessene Verlängerungszeit einräumen.

Das niedersächsiche Pendant für unsere Frage, die Verordnung zum Niedersächsischen Gesetz zur Ausbildung der Juristinnen und Juristen (NJAVO), findet sich hier. Dort stehen die relevanten Vorschriften in § 3:

§ 3 Beeinträchtigungen
Bei der prüfungsunabhängigen Beeinträchtigung eines Prüflings können nach Vorlage eines amtsärztlichen Zeugnisses auf Antrag die Bearbeitungszeit für die Aufsichtsarbeiten und die Vorbereitungszeit für den Vortrag verlängert sowie persönliche und sächliche Hilfsmittel zugelassen werden; bei einer Verlängerung oder Zulassung muss gewährleistet sein, dass die prüfungserheblichen Fähigkeiten des Prüflings feststellbar bleiben. Bei einer nur vorübergehenden Beeinträchtigung ist nach Vorlage eines amtsärztlichen Zeugnisses auf Antrag zu entscheiden, ob Satz 1 entsprechend angewendet wird oder die Prüfungsleistung zu einem späteren Termin zu erbringen ist.

Man erkennt leicht, dass die niedersächsische Fassung hier ausführlicher und flexibler ist. Insgesamt gibt es in Deutschland ganze 15 verschiedene Prüfungsordnungen mit meist unterschiedlicher Regelung. Übrigens deshalb nur 15 und keine 16, weil Berlin und  Brandenburg ein gemeinsames Prüfungsrecht haben. 

Bei allen Vorzügen des Föderalismus: Die Juristenausbildung dient der Umsetzung der Regelungen des Deutschen Richtergesetzes. Und jeder Absolvent hat deutschlandweit die gleichen Recht. Auch das Grundgesetz gilt für unser ganzes Land. 

Es wäre daher wünschenswert, wenn Menschen mit Behinderungen sich nicht ihren Studienort danach aussuchen müssten, wo man ihnen einen echten Nachteilsausgleich gewährt und wo sie vermutlich im Gegenteil ohne eigenes Verschulden ein schlechteres Examen ablegen werden.

Die Ausbildungsordnungen sollten ein transpartentes Verfahren für den Ausgleich von Nachteilen vorsehen. Dabei geht es ausdrücklich nicht um "Prüfungserleichterungen" für Menschen mit Behinderungen oder vorübergehenden, aber eben akuten Beeinträchtigungen, sondern um die bestmögliche Gleichstellung mit alle den anderen Prüflingen. Es soll nicht leichter werden, es soll nur nicht schwerer sein.

Wie bei jeder guten juristischen Regelung, sollte diese möglichst viele Fälle unmittelbar erfassen, aber flexibel genug sein, auch sehr ungewöhnliche Einzelfälle dann mit einer für diesen Einzelfall passenden Regelung zu lösen.

Daher sei ein folgender Gesetzestext vorgeschlagen: 

§ xx Prüfungsbeeinträchtigungen
(1) Bei Vorliegen einer Behinderung oder prüfungsunabhängigen Beeinträchtigung des Prüflings sind auf Antrag bei Vorlage eines amtsärztlichen Attests notwendige Maßnahmen zu gewähren, um den bestehenden Nachteil auszugleichen (Nachteilsausgleich).
(2) Dazu zählen insbesondere persönliche und sächliche Hilfsmittel sowie eine Verlängerung der Bearbeitungs-, Vorbereitungs- und Vortragszeiten.
(3) Der Antrag kann ab Beginn des sechsten Monats vor dem Monat der ersten Aufsichtsarbeit gestellt werden.